Die diesjährige Projektarbeit verband Fragen nach künstlerischen Strategien, die wissenschaftliche Grundlagen berücksichtigen und eine Einladung zum gemeinsamen Handeln beinhalten sollten. Sie ist ein Beispiel für die Schnittstelle zwischen Kunst, zeitgenössischen Fragestellungen und sozialem Engagement. Das Projekt beleuchtet, wie Kunst als Katalysator für gesellschaftliche Reflexion und Veränderung wirken kann.
Von September bis Ende Oktober 2024 fanden drei Werkstattgespräche statt, die sich auf die Zusammenarbeit der Künstlerinnen malatsion und Carolin Kropff bezogen. Grundlage dieser Zusammenarbeit ist das von malatsion ins Leben gerufene Kunstprojekt New Skin For A Landscape.
Den Abschluss der Reihe bildete eine Kurzzeitausstellung, in deren Rahmen ein Booklet veröffentlicht wurde.
Beide Künstlerinnen verbindet eine sorgfältige Recherchearbeit: malatsion legt den Schwerpunkt auf die Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse in ihre künstlerische Praxis, während Carolin Kropff Handwerksmethoden und die geschichtlichen Hintergründe textiler Materialien untersucht. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse dienen ihr als Inspiration und Grundlage für ihre weitere künstlerische Arbeit.
Das Thema von New Skin For A Landscape – ein von malatsion initiiertes Kunstprojekt – ist das Wasser in der Landschaft: ein Kunstwerk, das ein raumgreifendes Modell einer an den Klimawandel angepassten Landschaft darstellt und unter Mitwirkung anderer realisiert werden soll. Aufgrund der besonderen Eigenschaften von Rohwolle schlug Carolin Kropff dieses Material für die Entwicklung des ersten Modells vor. Die Fähigkeit der Wolle, Wasser zu binden, zu isolieren und zu schützen, bietet eine ideale Analogie zu einer gesunden Bodenstruktur. Darüber hinaus erfordert ihre Verarbeitung die Zusammenarbeit mit anderen.
Der „neuen Haut“ der Landschaft liegen positive Beispiele der Landschaftsneugestaltung zu Schwammlandschaften zugrunde. Mit den Mitteln der Kunst und durch kollaboratives Engagement soll ein „monumentales Kostüm“ oder „Gewand der Natur“ für eine imaginierte, an den Klimawandel angepasste Landschaft geschaffen werden. Dieses „monumentale Kostüm“ wird zu einem Symbol für Resilienz und Adaptivität – und zeigt, dass durch Kooperation und künstlerisches Engagement neue Perspektiven und Handlungsweisen für eine nachhaltigere Zukunft entstehen können.
Die Werkstattgespräche – eine Kombination aus Artist Talk, Lecture und Workshop – bewegen sich an der Schnittstelle von Kunst, Handwerk und Gesellschaft. Der Hands-On-Teil ist eine Einladung, künstlerische Strategien und Prozesse durch das direkte Erleben der vorgestellten Materialien nachzuvollziehen. Die Prozesse sind offen gestaltet und nicht auf ein spezifisches Objektergebnis ausgerichtet. Es geht nicht darum, vorgegebene Antworten zu liefern – vielmehr stellen wir Fragen und suchen gemeinsam nach Lösungen.
„Bleibt der Erde treu!“
Ein Werkstattgespräch mit malatsion und Carolin Kropff
von Angelica Horn
Die Aufforderung, ja die Beschwörung, die Friedrich Nietzsche seinen Zarathustra aussprechen läßt, der Erde treu zu bleiben und entsprechend den Sinn der Erde zu erfüllen, ließe sich auch über unsere heutige Zeit und die kollaborative Arbeit der Künstlerinnen malatsion und Carolin Kropff setzen. Verband Nietzsche mit seinem Appell den Gedanken, sich nicht überirdischen Hoffnungen hinzugeben, so ist er heute mit dem Gedanken zu verbinden, nicht für Kapital- und Machtinteressen und für partikulare Menschenbedürfnisse den Erhalt der Erde als Ort menschlichen Lebens aufs Spiel zu setzen, sondern stattdessen für gesunde und gute Verhältnisse zu sorgen. Bekannt sind die Probleme, die der Mensch durch seine künstlichen Eingriffe hervorgerufen hat und die er nun möglichst bewältigen muß. Eine Veränderung der Perspektive und ein Bewußtmachen von Zusammenhängen und Handlungsmöglichkeiten bietet das von malatsion initiierte Projekt „New Skin For A Landscape“.
In einem dritten Werkstattgespräch einer dreiteiligen Reihe im Jahr 2024 geht es um das Naßfilzen. Der Tisch ist bereitet: Matten liegen aus, darauf Handtücher, darauf dünne Netze, darauf speziell ausgeschnittene Lederstücke. Die eintreffenden Teilnehmerinnen werden mit einem Tee versehen. Dann beginnt die gemeinsame Arbeit. Die gewaschene Rohwolle eines heimischen Schafes wird gezupft und in Bündeln parallel und die Form überlappend in Schichten auf die Lederstücke gelegt und festgedrückt, erst senkrecht, dann waagrecht bzw. umgekehrt. Dann wird das Lederstück umgedreht, die überlappenden Teile umgebogen und diese Seite wird ebenso mit Haarbündeln belegt. Schließlich wird das Stück gewässert und eingerollt kräftig gewalkt. Mit Seife wird zusätzlich Zusammenhalt und Verdichtung erzeugt. Das fertige Stück wird aufgeschnitten, das Lederstück entfernt und fertig ist ein Teilstück der Landschaftsoberfläche, die auf ein vorbereitetes Landschaftsrelief gelegt werden kann.
Carolin Kropff leitet die Tätigkeiten an und macht auf die Besonderheiten des Materials Rohwolle aufmerksam, erzählt von dessen heutiger Geschichte und der langen menschheitlichen Tradition des Filzens im Kontext anderer Fertigungstechniken, anderer menschlicher Erfindungen und von damit verbundenen Mythen. Die Tätigkeiten bedeuten ein Erspüren des Materials und ein Sich-Einlassen auf seine Eigenart, es geht um ein Bewußtmachen, auch wenn man es sich nicht explizit bewußt macht. Das natürliche Material verlangt nach der ihm eigenen Wertschätzung, und es scheint unfaßbar, daß es nach EU-Norm nur als Abfall zu gelten hat und zu entsorgen ist. Bei der Arbeit herrscht Stille im Raum, trotz des Erzählens und trotz stattfindender Unterhaltung; es ist eine Stille, die Ausdruck der Haltung von Wertschätzung ist. Carolin Kropff verweist auf die Bedeutung und Tradition von Textilkunst.
Malatsion berichtet sodann von Projekten in verschiedenen Ländern der Welt, wo mit einfach anmutenden Mitteln erstaunliche Erfolge darin erzielt werden konnten, das Wasser in der Landschaft zu halten, damit Dürre zu verhindern sowie pflanzliches Wachstum zu befördern oder Überschwemmungsereignisse zu verhindern und das lokale Klima zu verändern. Es handelt sich um einfache natürliche Maßnahmen, wie das Anlegen von Senken und Gräben, dem Anpflanzen von Hecken oder dem Erbauen von Barrieren aus Holz für Bachläufe. Malatsion berichtet anhand von Abbildungen von Klimamodellen und -projekten, wobei vermehrt das Augenmerk auf Modelle für das lokale Klima bestimmter Regionen zu richten ist. Malatsion berichtet von Kunstprojekten im Themengebiet. Aufmerksamkeit und Bewußtheit ist zu gewinnen, wobei ein künstlerisches Projekt wie das einer neuen Landschaftsoberfläche analoge Strukturen aufzeigen und verbildlichen kann.
Die Botschaft des Abends dieses Werkstattgesprächs ist: Wir können etwas machen. Jeder kann etwas machen, der im Bewußtsein eigener Wertschätzung mit dem Natürlichen und der Natur umgeht und entsprechend handelt. Wir können an einem Abend eine Haltung in eigener Tätigkeit und eigenem Erfahren spüren, die auch nachhaltig in uns etwas zu bewirken vermag. So geht es im Effekt auch um die innere Natur und um innere Landschaften des Menschen. Das Programm „Knowing – Acting – Caring“ bedeutet ein wissensbasiertes Handeln, das sich des Sorgens und des Bewahrens verpflichtet sieht, derart den „Sinn der Erde“ erfüllend. Das kollaborativen Arbeiten und Wirken bringt ein Gefühl für den Mitmenschen wie für die Mitgeschöpfe auf Erden hervor. Es wird mit den Künstlerinnen zusammengearbeitet, eine Gemeinschaft auf Zeit entsteht. Ziel der Prozesse des Austausches und des gemeinsamen Arbeitens ist ein raumgreifendes Landschaftsmodell als künstlerische Installation. Wir dürfen darauf gespannt sein.
©Angelica Horn
Frankfurt am Main 2024
