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Das Werkstattgespräch widmete sich dem bedeutenden Buch „Worn“ von Sofi Thanhauser, wie derTextilhandel und die East Indian Company die Entstehung von Patchwork beflügelt hat und welches
künstlerische und soziale Potenzial die Gestaltung eines Blocks hat.

In den Werkstattgesprächen geht es um die reichen Erfindungen der Textilherstellung, warum wir ihre Geschichte kaum kennen und was wir dagegen tun können. Thanhauser gelingt es in bemerkenswerter Weise, die Geschichte unserer Kleidung zu erzählen und Zusammenhänge aufzudecken, die ich noch nie gesehen habe. Sie wollen einen aktiven Beitrag zu der weitgehend nicht erzählten Geschichte der fantastischen Erfindungen mit Fasern und Stoffen leisten, in der in großen Teilen der Welt Frauen seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte die Protagonistinnen sind, und wie die Kommerzialisierung und der Handel zur Abwertung dieser Errungenschaften beigetragen haben. Ihre künstlerische und gesellschaftliche Bedeutung liegt im Verborgenen.

 

Unsere Kleider erzählen Geschichten über uns und unserer Suche nach menschlicher Wärme und Zugehörigkeit.

Sofie Thanhauser

Der Stoff der Welt

Ich habe schon als Kind gerne genäht.

Eine Schneiderin kam regelmäßig zu uns nach Hause und machte meine schönen Sonntagskleider. Sie saß an unserer Tretmaschine und sah mit ihrem buckeligen Rücken aus, als sei sie direkt aus meinem Märchenbuch gestiegen. Viele Stecknadeln lagen auf dem Boden, die gebügelten Stoffen verließ ein interessanter Geruch, eine konzentrierte und ruhige Atmosphäre lag in der Luft. Manchmal durfte ich sie in ihrem kleinen Hexenhaus in Brilon besuchen.

Im Alter von 14 Jahren nahm meine roten Vorhänge ab und nähte einen Rock. Der Rock war nicht so großartig gemacht wie das Kleid in dem Film “Enchanted“, aber mit dem derselben spielerischen Selbstverständnis. Nach dem Abitur wurde ich Lehrling in der renommierten Herrenmaßschneiderei Schmidt im Sauerland. Nach drei Jahren verließ ich die Schneiderwerkstatt mit meinem Gesellenbrief, mit Auszeichnung. Ich ging ans Theater und wollte Kostümbildnerin werden. Vom Theater Dortmund zog es mich zur Kunstakademie Düsseldorf und Textil als künstlerisches Material verschwand aus meinem Umfeld. Ich begann zu malen.

Viele Jahre später traf ich Felicity Brown in Dubai. Als ich sah, wie sie in Tashkeel an der Schneiderpuppe arbeite und malerische Skulpturen aus gefärbter Seide schuf, war ich verzaubert. So wie ich ihre Stoffarbeiten bewunderte, so war sie von meiner Malerei inspiriert. Wir begannen zusammen zu arbeiten.
Seitdem recherchiere und lerne ich über textile Handwerkstraditionen aus der ganzen Welt und versuche, ihre Geschichte und sozialen Auswirkungen zu verstehen. Sie stehen für mich als Sinnbild von einem kollektivem Wissen, das durch die Erprobung und das Ausreizen des gegebenen Materials zu einer Formel kondensiert ist, die sich dann in Worte fassen lässt, und durch so und durchs Zuschauen weitergegeben werden kann. Viele Hände und viel Zeit wurden dazu gebraucht. Es gibt wie bei den Mythologien keinen Autor.

Die textilen Herstellungsweisen, die Kordeln, Stoffe und Kleider, die wir nutzen und tragen machen einen großen Teil unserer Kulturgeschichte aus. Diese Geschichte wird in ihrer Signifikanz kaum erzählt. Vielleicht liefert das Buch “Worn“ von Sofi Thanhauser Antworten dazu, warum Textilien als künstlerisches Material seit dem Mittelalter aus dem Kanon der Schönen Künste gefallen ist. Mangelndes kreatives Potenzial von Fasern und Textilien kann nicht der Grund sein. Der Grund dafür liegt paradoxerweise eher in ihrer Bedeutung. Wie Lebensmittel sind sie unverzichtbar und ihre Herstellung ist äußerst komplex. Nach meinem jetzigen Verständins ist spätestens seit dem Mittelalter eine Entwicklung hin zur Ausbeutung von Mensch und Natur zu beobachten. Der Handel mit Textilien begann durch Gilden organisiert zu werden. Die heimische Produktion, das, was seit tausenden von Jahren zu Hause gemacht wurde, wurde im Laufe der Zeit konsequenterweise mehr und mehr abgewertet.

Die East Indian Company spielt eine gewalttätige Rolle in dieser Geschichte.


Sofi Thanhausers Buch "Worn" verbindet Fakten, die ich zuvor nicht so klar miteinander verbunden gesehen habe! Dabei entsteht ein ganz anderes Bild. Es ist ein wichtiges Buch auf meiner Reise zum Stoff der Welt.

Carolin Kropff, November 2023

Mit freundlicher Unterstützung des Kulturamt Frankfurt.

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