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Thyra Schmidt & Christina Kral

Photographs and video by Thyra Schmidt

Thyra Schmidt & Christina Kral

Donnerstag, den 27. 04. 2023

18 – 22 Uhr

Die Ausstellung wird begleitet von einem Text von der Philosophin Angelica Horn, siehe unten.

Grundlage der Werke von Thyra Schmidt bilden selbstverfasste Texte, die sie typografisch oder als Sprachaufnahme, in Kombination mit druckgrafischen, fotografischen oder filmischen Techniken, in verschiedenen Formen im Innen- und Außenraum umsetzt. Die Künstlerin interessiert der Einsatz von Sprache als bild- und raumerzeugendes Element. In stetigem Perspektivenwechsel beschreibt sie dabei diverse zwischenmenschliche Zustände, um gesellschaftliche Erfahrungen widerspiegeln zu können.

Thyra lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Sie studierte an der HBK Braunschweig und an der Kunstakademie Düsseldorf und wurde mehrfach durch Stipendien und internationale Arbeitsaufenthalte (in Japan, Norwegen, Brasilien, Südkorea) gefördert. Ihre Werke wurden u.a. in Ausstellungen sowie Projekten im öffentlichen Raum gezeigt von: Photographische Sammlung|SK Stiftung Kultur, Köln; Institute of Contemporary Art, Dunaújváros, Ungarn; Goethe-Institut Norwegen und ROM for Kunst og Arkitektur, Oslo; Kunstverein Paderborn; Neuer Kunstverein Wuppertal; KAI 10|Arthena Foundation, Düsseldorf. Für einen Erweiterungsbau des Museum Haus Opherdicke, Unna, entwarf Thyra ein Chronogramm für das Jahr 2021 als Inschrift am Gebäude. Einzelne Werkreihen und Projekte veröffentlicht sie zudem in von ihr gestalteten Publikationen, zuletzt erschienen sind: Über Diebe und die Liebe. On Thieves and Love. (2019, edition cantz/DCV, Berlin) und Rendezvous (2023, DISTANZ Verlag, Berlin).

Christina Kral ist bildende Künstlerin. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Ihre Arbeit umfasst skulpturale Assemblage, Installation und Malerei. Für ihre Assemblagearbeiten verwendet sie Objektfragmente, die sie auf der Straße findet und denen sie durch Arrangieren und Neukombinieren eine neue Form und Lesbarkeit gibt. In der Malerei interessiert es sie vor allem, etablierte Techniken experimentell nachzuvollziehen und weiterzuentwickeln. Dabei greift sie auch auf Abläufe außerhalb der Bildenden Kunst zurück, wie zum Beispiel Gartenarbeit oder Kochen, und überträgt sie in die Malprozesse. In ihren Installationen führt sie Aspekte ihrer Malerei und Assemblage-Skulpturen zusammen, zum Beispiel durch die Verräumlichung malerischer Kompositionen.

Christina begann ihre künstlerische Laufbahn 2008 in New York mit einem Künstleraufenthalt bei Eyebeam. Es folgten Aufenthalte an der Columbia University (Teachers College, New York), bei Bric Contemporary Art in New York, Guapamacátaro in Michoacán, Mexiko, und Gasworks in London, UK. Sie erhielt verschiedene Stipendien, zuletzt 2022 von der renommierten Pollock-Krasner Foundation in New York. Ihre Arbeiten wurden national und international auf Kunstfestivals wie der Cafa Biennale in Peking, China, der Mercosul Biennale in Porto Allegre, Brasilien gezeigt, außerdem bei X-Initiative, einem temporären experimentellen Non-Profit-Projekt im ehemaligen Dia:Chelsea-Gebäude in New York unter der Leitung von Cecilia Alemani, in Ausstellungen im Bauhausarchiv in Berlin und im Ludwig Mùzeum in Budapest, Ungarn. Im Kunstraum Kreuzberg in Berlin schloss vor Kurzem die Gruppenausstellung Worin unsere Stärke besteht – 50 Künstlerinnen aus drei Generationen der DDR, an der Christina mit einer Auswahl ihrer Assemblagen beteiligt war.

Bilder von rechts nach links:
Thyra Schmidt
Aus der Serie IHR: zwei Fotografien, Siebdruck auf Papier, je 55,7 x 72 cm (gerahmt) und Videoprojektion, Text der Künstlerin, 1:09 min, Maße variabel, 2022/2023

Christina Kral

Untitled: Acryl auf Baumwolle, 60 x 60 cm, 2023

Untiteld: Acryl auf Baumwolle, 60 x 60 cm, 2023

Untiteld: Acryl auf Baumwolle, 50 x 50 cm, 2023

Vielfältige Beziehungen

Zur Ausstellung von Thyra Schmidt und Christina Kral in der Reihe „“ des Studiospace Langestraße Frankfurt

von Angelica Horn

 

Christina Kral beschäftigt sich in den drei in dieser Ausstellung gezeigten Bildern mit dem Thema des Musters und der Musterbildung: „Broken Patterns“ (Untitled, Acryl auf Baumwolle, 2023). In dem ersten Gemälde (60 x 60 cm) befindet sich Malerei auf einem zugrundeliegenden Druck. Durch ein Verrutschen beim Einscannen entstand ein schlierenartiges Muster, auf dem sich einzelne gelbe flächige gelbe Formen, in sich bewegtes Fleckartiges in Blau, Violett und Rot befinden sowie drei längliche liegende „Kringel“ in einem Türkiston. Es ergibt sich ein harmonisches Ganzes, in sich bewegt und von Leichtigkeit geprägt. Dunkelgraue Streifen mit linienförmigen Unterbrechungen ergeben einen „Drive“ nach rechts. Der Blick des Betrachters, der ins Einzelne geht, wird der inneren Bewegtheit des Bildes teilhaftig und erfährt ein Muster, das sich nicht festhalten lässt.

In einem zweiten ganz anders gelagerten Bild (60 x 60 cm) ging die Beschäftigung mit umgeschlagenen Stoffen voraus, die durch das Umschlagen neue Muster ergeben. Zwei Hauptflächen treffen analog zu einem solchen Vorgang in der Mitte des Bildes aufeinander, links ein gelb-ockerfarbener „Stoff“ mit blau, grünen Figuren in Rautenform, rechts dominanter in Orange mit Gelb-Ocker und Grün in Flächen und Streifen. Oben ist der Zipfel eines weiteren „Stoffes“ in Schwarz, Weiß-Grau und Türkis-Blau mit Rautenförmigem zu sehen. Dieses eher ruhige Bild hat das Muster als Gegebenheit in sich, die immer aus Wiederholung und Rhythmus besteht.

In dem dritten Bild (50 x 50c m), das am meisten Komplexität aufweist und das jüngste der drei ist, wird mit bandförmigen Strukturen gearbeitet, wovon besonders zwei in Weiß-Violett-Weiß und Weiß-Rot-Weiß hervorstechen, die senkrecht angebracht sind. Schwarze und blaue flächige Formen im Zentrum bringen Ruhe und Bestimmtheit ins Bild; an den Seiten des Bildes wird deutlich, wie andere Schichten dem Obenaufliegenden vorausgingen, die hier offen zu sehen sind. Sie sind fluider einerseits, transparenter andererseits. Auch dieses Bild, für dessen Verfertigung mit Abklebungen der Fläche gearbeitet wurde, reflektiert in sich auf das Wesen des Bildes als solches: mit dem zentralen Gegenstand, mit dem Hintergrund und dem Vordergrund. Im weitesten Sinne kann ein jedes Bild in seinem Aufbau und seiner Struktur als (ein) Muster begriffen werden, das aber „gebrochen“ ist und keine zu befolgende oder befolgte Vorgabe.

 

Thyra Schmidt hat Fotos aus dem Familienalbum im Siebdruck reproduziert und zeigt in dieser Ausstellung zwei Blätter aus der Serie „IHR“ (2022/2023, je 55,7 x 72 cm). „Ihr“, das sind die Vorfahren, aus deren Zeit die Fotos stammen, aus den Fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Das eine Foto zeigt Leute, die sich froh und stolz in und an einem Auto befinden, sonntäglich bekleidet. Sie schauen fast alle nach rechts (dort gibt es also etwas zu sehen); ein Mann, der mit verschränkten Armen am Auto lehnt, sich selbst präsentierend und repräsentierend, schaut direkt auf den Fotografierenden; wir dürfen in ihm den Besitzer des Autos vermuten. Die Treffen dieser Menschen, das Ereignis, das beobachtet wird, das Auto, das alles war offensichtlich etwas Besonderes.

Im zweiten der roten Siebdrucke sehen wir Pferde. Links das Hinterteil eines solchen, rechts fast die Hälfte des Bildes ausfüllend den vorderen Teil eines Pferdes, auf dem ein Jockey sitzt, dessen Kopf wir aber nicht sehen können. Hinten im Mittelteil des Bildes sehen wir eine Gesellschaft von Menschen, es gibt Bänke zum Sitzen, hinten stehen Bäume und vorne ist eine große Fläche mit Rasen bedeckt. Verknüpfen wir die Erzählungen der beiden Bilder miteinander, so dürfte es sich bei dem zu sehenden Ereignis des einen das Pferderennen des anderen sein. Die Wiedergabe der Fotos in rotem Siebdruck schafft nicht nur autonome künstlerische Werke, sie erzeugt zudem eine Dialektik von Erinnerung und Präsenz. Der einfarbige Siebdruck distanziert einerseits von dem Foto und damit von der fotografierten Realität. Andererseits rückt aber gerade dadurch diese Realität näher und wird sogar direkter erlebt – im Sinne einer Erinnerung und sei es eine Erinnerung an etwas, was wir selbst nicht erlebt haben.

Unterhalb des ersten Siebdruckes befindet sich an der Stirnwand des Raumes eine Videoprojektion einer Textsequenz (Text der Künstlerin, 1:09 min, 2022/2023), die mit den Worten „Das kenne ich nicht.“ beginnt. Einzelne Aussagen sind in einer Abfolge genau geordnet an verschiedenen Orten der Wandfläche zu sehen und zu lesen – das Ganze endet mit einer rapiden Sequenz in einer Senkrechten. Text ist hier zugleich Bild und zeitlich geordnete Struktur. Der Betrachter kann sich von dem Text, an jeder seiner Stellen, persönlich angesprochen fühlen (z.B. „Wo bist Du?“); es liegt ganz an ihm, ob er das tut, oder ob er den Textablauf als in sich autonomes Gebilde, wie ein solches etwa in einem Gedicht vorliegt, nimmt. Es handelt sich hier um ein offenes Beziehungsgeschehen, das durch die Worte und deren Anordnung und Ablauf bestimmt, nicht aber eindeutig festgelegt ist. Da es sich um einen Loop handelt, besteht die Möglichkeit, sich das Textgeschehen wiederholt anzuschauen, wiederholt die eigene Erfahrung mit ihm zu machen, den Ablauf und den Zusammenhang zu reflektieren. Es endet mit dem Stakkato: „JUST IN DEM MO MENT BIST DU NICHT DA“.

 

Das Textgeschehen als bildnerische Ordnung enthält eine vielfältige Beziehungsstruktur und ermöglicht vielfältige Beziehungen zu ihm. Und das gilt für die ganze Ausstellung – für die Beziehungen der einzelnen Werke zueinander wie des Betrachters zu diesen. Es ist ein Raum möglicher Beziehungsereignisse. Es liegt am Betrachter, wie weit und wie er sich auf die Kunst einlässt und an ihrem Leben und ihrer Lebendigkeit teilhat. Individuelle Freiheit ist möglich.

 

                                                                      

© Angelica Horn, Frankfurt am Main 2024

Angelica - Thyra - Christina
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