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Anja Conrad & Lucas Fastabend

04. September 2020

18 - 23 Uhr

Text: Angelica Horn, siehe unten.

Ein Mann ging an einem See spazieren.
Es war ein kalter nasser Herbst Tag.

Die Luft erfrischend schön,

die Schönheit erfrischend nüchtern.

Die eingewanderten Nilgänse beobachten ihn teils mitleidig, leicht beängstigt und trollen sich ins Unterholz.

Der Mensch ist ihnen egal, wie der Mann sich auch.

An seiner nackten Haut klebt das goldene Herbstlaub.

Lächelnd und froh, dass es vorbei ist, sinkt er zum Grund des Bergsees.

Ich grüße die Gänse,

Ich grüße die Fische.

Ich grüße DICH.[1]

In ihren Arbeiten geht die Fotografin Anja Conrad einem Widerspruch des Einmaligen im Alltag nach. Sie legt einerseits einen hohen Wert auf die formalen Aspekte. So wiederholen sich beispielsweise bestimmte Farben und markante Sichtachsen, die von horizontalen Linien betont werden. Gleichzeitig spielt der emotionale Zugang zu dem bereits Erlebten eine wesentliche Rolle.

Die von ihr gezeigte Rote Türe bildet eine Situation ab, welche wiederkehrende Vorgänge, alltägliche Wahrnehmungen und Handlungen in sich speichert. Sie dient also eher als Symbol für etwas Erlebtes. Der Künstlerin geht es weniger um positive oder negative Deutungen von Situationen, sondern um die Teilhabe an einem bestimmten Schema. [2]

https://www.anjaconrad.com/

 

Die Arbeitsweise von Lucas Fastabend gleicht ebenso einer Suchbewegung und der sichtbaren Arbeit am Bild. Die in der Ausstellung gezeigte Arbeit Falter auf Universum ist eine SW-Fotografie, die einen Nachtfalter zeigt, der, auf einem aufgeschlagenen Buch sitzend, auf eine Abbildung eines Universums zu krabbelt. Das Flügelmuster des Nachtfalters weist durchaus Ähnlichkeiten mit den Sternenpünktchen des Universums auf, so dass hier sein Interesse an formalen Korrespondenzen aufscheint. Es bleibt, oberflächlich betrachtet, nur noch die Möglichkeit der Tarnung, indem auf Existierendes zugegriffen wird. Für ihn ist vielmehr eine Verschiebung der Perspektive von Bedeutung, in der weniger das Endprodukt, sondern das Machen im Zentrum steht.  [3]

http://www.lucasfastabend.com/

 

Beiden Arbeitsweisen liegt inne, dass das Unbedeutende zu einer singulären Erfahrung und das Unwesentliches zum Wesentlichem werden kann.

[1] Fragmente aus Tau von Lucas Fastabend 2020

[2] Quelle: Knoten, Anorak, Plot von Lucas Fastabend zur Ausstellung „und beim Unkraut  hüpft das Herz“ Belle-Vue, Ort für Fotografie Basel, Schweiz 2016.

[3] Quelle: Dr. Antje Krause-Wahl zur Arbeit von Lucas Fastabend, Frankfurt 2011.

Arbeiten:

Conrad:         Neck #068-005, Brooklyn, NY 1996/2020, 50x50 cm plus (Haken & Fotolampe).

Fastabend:   Nachtfalter / Universum 134,5 x 88 cm printed 2020

Fastabend:   Untitled, Kollage, gerahmt. 

Fastabend:   Untitled, Kollage.

Conrad:         Door #16964 (Red), Memphis TN 2012/2020, 32,25x43 cm.

Conrad:         Cloud #9976 (Checkers), Memphis TN 2019/2020, 45 x 60 cm.

Conrad:         Metal Canopy #2393 (Shell), Pfungstadt, Germany 2018/2020, 32,25x43 cm.

Fastabend:   Untitled, Hosenstoff, Tinte plus (Stange).

Fotos: © Alexander Schütz

„Ich grüße DICH.“
Anja Conrad und Lucas Fastabend in der Reihe „“ des Studiospaces in der Lange

von Angelica Horn


Straße 31 Anja Conrads Fotos verdichten die Realität und Ebenen der Realität. Da gibt es das Abbild von Gegenständen und Gegenständlichkeit, die Verknüpfung und Überlagerung von Spiegelung und Dinglichkeit, die Kombination von Mauer und Wolkenbild („Cloud #9976 (Checkers), Mempis TN“ 2019/2020). Es geht nicht nur um die Realität in der ihr eigenen Undurchdringlichkeit, es geht zugleich um den Realitätscharakter selbst. Was ist es, was wir da als real wahrnehmen und als Realität? Wir kommen nicht dahinter, und wir kommen nicht da hinein, auch wenn wir durch ein Fenster hinein oder heraus blicken. Die Realität bleibt dicht und nimmt derart stets den Charakter einer Oberfläche an, der die Realität des Fotos als solches entspricht. Der Betrachter bleibt davor und davor stehen, vor dieser starken Präsenz, die ihn ebenso einlädt wie ausschließt. Die ganze persönliche Kraft der Fotografin liegt ihm Bild, wie sie selbst doch zugleich aus diesem draußen bleibt. Jedes Bild ist genaustens komponiert, alles ist ganz nach der Realität. Farben und
Formen, Linien und Unschärfen sind exakt bestimmt und aufeinander bezogen, die Farben oft Ton in Ton, dann auch in starkem Kontrast. Da ist die rote Tür („Door,1t6964 (Red); Memphis TN“ 2012/2020), die ebenso sehr eine Farbfläche ist wie Abbild eines Gegenstandes, und wir mögen uns fragen, was sich dahinter verbirgt, wer da hinein- oder herausgegangen sein mag. Bei anderen Fotos mögen wir uns fragen, um was für einen Ausschnitt der Realität es sich da handelt, was für ein Ding das denn ist („Metal Canopy #2393 (Shell), Pfungstadt, Gemany“ 2018/2020).
Andere scheinen fast lapidar, wie der Nacken einer Frau, der auf dem Foto ebenfalls zu einer undurchdringlichen Realität und Farbfläche wird. Die Fotos bleiben dem Betrachter in der Erinnerung präsent und wirken dort. Erinnerung und Erinnerungsschemata sind ein Modus dieser Arbeit. Es ist die ungeheure Präsenz der Realität und des Realitätscharakters selbst, die hier Bild wird. Undurchdringlich. In der Arbeit „Neck ‚068-005, Brooklyn“ von1996/2020 ist in dieser Ausstellung das Foto mit einer realen Installation eines Hakens und einer Fotolampe kombiniert.

 

In einem Text des Katalogbuches von Anja Conrad („Everything is always so perfect when you are in it“ von Josepha Conrad) wird Man Rays Bild „A l’heure de l’oberservatoire, les amoureux“ zitiert, das einen großen roten Mund vor einem Himmel lauter kleiner Wölkchen zeigt. Auch in dieser „Stunde der Beobachtung“ wird Realität kombiniert. Der Text bezieht sich auf eine Postkarte, auf der Man Rays Darstellung abgebildet ist. Die Beziehung ist eine in die Ferne, ein Gruß, vielleicht ein Liebe, eine Fernstenliebe. Das Du ist im Gruß, wie das Du in den Fotos von Anja Conrad ist, ohne daß der Andere als solcher präsent ist. Der Gruß konstituiert die Beziehung von Du zu Du, konstituiert den Anderen als Du und damit zugleich den Grüßenden als ein solches. Mehr wird nicht gewußt, mehr ist da noch nicht zu wissen. Es liegt Erfüllung und Sehnsucht in dem Gruß. Noch wissen wir nicht, ob das wirklich ist oder wirklich werden kann. Auch der Einsame, auch der Untergehende mag grüßen, und vielleicht hört ihn gar niemand. Vielleicht kommt die Postkarte niemals an.


Ist der Mensch wesentlich existentiell allein, so überbrückt der Gruß diese existentielle Differenz und Distanz. Er ist in sich selbst die Frage nach dem „DU“. Der Andere ist immer ein Fremder. Und doch sprechen wir von einem Du oder gerade deshalb. In der starken Realität ist der Andere, hier die Fotografin, präsent. Er ist im Blick, der gezeigt wird. Der Realitätscharakter ist zugleich die Perfektion dieses Blicks. Der Gruß kann auch in einem Anblicken liegen. „Ich grüße DICH.“ Ob der Andere den Gruß auch empfängt und annimmt? Diese Frage liegt zwischen Bild und
Betrachter. Die Sehnsucht ist immer auch eine Sehnsucht nach zurück, das Anklingen von Erinnerung, ohne daß diese identifizierbar sein muß. Die Realität ist nicht einfach real. Sie ist stets eine neue.


Lucas Fastabend kombiniert in seinen Arbeiten Materialien und dadurch Realitäten, die ein neues Bild ergeben. Hier wirkt die Kraft der Imagination, die verdichtet wird und verdichtend wirkt. Im „Bergsee“ von 2020 etwa ist eine Stoffhose, ausgelaufener Stift und eine Duschstange kombiniert, in der kleinen „Nil-Gänse-Blume“ von 2020 Holz, Kreppband, ein Transferdruck und Ölfarbe. Die Imagination des Betrachters realisiert das Bild, das dann in ihm verbleibt. So ist auch hier die Frage nach dem „Du“ präsent, ohne daß sie ausgesprochen wird, als sei die Kunst selbst ein Gruß in die Ferne. Hier geht eine stille Faszinationskraft von den Materialien selbst aus, gesteigert, wenn die Collage oder sonstige Materialbearbeitung abfotografiert ist. Die Undurchdringlichkeit ist diejenige des Materials selbst, das wir als solches bezeichnen können, ohne viel mehr davon zu wissen, als vielleicht, wie es sich bearbeiten und behandeln läßt, wie es strukturiert ist und welche Struktur es zeigt und ausdrückt. Wir beobachten Struktur und damit Existenz. Der Arbeitsprozeß selbst liegt offen dar und wird so reflektiert. Die Prozeßhaftigkeit selbst ist Mittel und Ziel. Schon dadurch ist der Produzent wie der Rezipient präsent. Das Bild wird zu einer ebenso realen wie schwebenden Anwesenheit. Was sagt es uns? Was heißt es? Die Realität ist hier letztlich verborgen und zugleich doch auch da. Es gibt den Verweis auf das Existierende, die Existenz, das Existentielle. Halt ist das Materiale der Welt und der Kunst selbst. Es ist nicht zufällig, daß Lucas Fastabend diese Präsentation seiner Arbeiten - die erwähnten und „Snag“ von 2015 (Photogramm auf Baryt Papier, Fotokopien, Lack, Farbfotografie) sowie „Falter auf Universum“ von
2010/2020 (Abfotografierter Analog Fotoabzug) - von einem eigenen Gedicht begleiten läßt, in dem ein Mann, ein Bergsee und Nilgänse auftauchen. Auch hier zählt die Imagination. Als der Mann schließlich in dem Bergsee versinkt, lauten die letzten Worte „Ich grüße DICH.“ In der Prozeßhaftigkeit agieren die Materialien gleichsam miteinander, zeigen Differenz und Verwandtschaft. Liebe ist und kann sein.


Es ist hier ein Surreales im Abteil, diesem kleinen Vorraum des Ateliers der Lange Straße 31, das durch die Positionen von Anja Conrad und Lucas Fastabend repräsentiert und präsentiert wird. Der Kombination und Verdichtung von Realität in der Fotografie steht korrespondierend die Materialkombination und Freisetzung der Imagination gegenüber, so daß in dieser Ausstellung der von Carolin Kropff kuratierten Reihe „“ an einem Abend über die Logik einer solchen Entsprechung nachgedacht werden kann. Die beiden Positionen grüßen einander.

 


Angelica Horn
© Frankfurt am Main 2020

Mit freundlicher Unterstützung des Kulturamt Frankfurt.

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